Kroatien: Dalmacija Ultra Trail: Sea Dut: 57 km, 3.000 Hm
Rennprotokoll:
6:30 Uhr Lovis, mein Lebenspartner und ich mit anderen Läufer:innen per Shuttle Bus von Omis nach Makarska — Fotos vor dem Start — 8 Uhr Startschuss — gemächliches Losjoggen — erster Aufstieg nach ca. 5 Kilometern — alles im grünen Bereich —
bei Kilometer 9 erste Verpflegungsstation: Flusks auffüllen, Gel nehmen, einige Chips essen — langer Aufstieg zum höchsten Punkt beginnt — brütende Hitze, schwitzen, einen Fuss vor den anderen, einen Stock vor den anderen — Lage aber noch entspannt, Energie vorhanden — erster Abstieg, Trail sehr technisch — Stolperer und Bauchlandung, aufstehen und weiter geht es — erneute Aufstiege — Hitze setzt mir zu, fühle mich nicht mehr gut, erste schwarze Gedanken: beende das Rennen bei Kilometer 30 —
Verpflegung bei Kilometer 21,3: unbedingt kaltes koffeinhaltiges Cola und Chips — weiter geht’s, sage nicht viel, Schritt für Schritt, die Downhill-Passagen sind anspruchsvoll, die Sonne brennt, bei Kilometer 30 höre ich auf, hämmert es in meinem Kopf —
Verpflegungsposten bei Kilometer 29,6: herzliche Helfer:innen, Musik läuft, andere müde Gesichter, ich kämpfe, esse Orangen, Bananen, Käse, Brot, trinke, trinke, trinke — weiter, noch nicht aufgeben, Lovis motiviert mich — am Meeresufer entlang, heiss, so schönes klares Meerwasser, ich möchte reinspringen, einzelne Anfeuerungsrufe, die Hitze zerrt auch an Lovis’ Kräften —
Kilometer 38: Lovis und ich haben zu kämpfen, Energie ist weg, wir überlegen aufzuhören, nein, einfach mal Pause machen, verpflegen — wir diskutieren: aufhören oder weiter, aufhören oder weiter, dann der Entschluss: weiter, immerhin noch bis zum nächsten Posten bei Kilometer 46,9 — oh Wunder, nun passiert es, mein Körper regeneriert plötzlich auf den nächsten Kilometern, Energie durchströmt ihn, meine Gedanken werden positiv, ich kann die wunderschöne Gegend wieder geniessen, folgender Gedanke flammt auf: «Ich will die Finish Line erreichen» — Kilometer 46,9: letzter Verpflegungsposten vor dem Ziel, motivierende Helferinnen, bekommen Cold Pack auf den Nacken, Cola, essen und ja, weiter geht’s —
ein letzter Aufstieg, Serpentinen führen uns zum Gipfel, dann gerade über die von Steinen durchsetzte Wiese, der Trail bleibt technisch und wird beim Abstieg noch technischer, nichts von Flow, höchste Konzentration gefragt, letztes Gel runterwürgen, die Sonne geht unter, Lovis nimmt Stirnlampe hervor, kein Flowtrail in Sicht, nur Steine und steil bergab, Knieschmerzen vom Sturz —
endlich die Strassenlaternen von Omis, letzter Kilometer durch die Strassen von Omis, Anfeuerungsrufe, Finish Line in Sicht, Zieleinlauf, Menschen, die einem zujubeln —
Ziel: Foto, Umarmung, wir haben gefinisht, tatsächlich gefinisht, Medaille, glücklich, überglücklich, ich liebe dich, Lovis!
Dies ist mein bisher grösstes Abenteuer im Bereich Trailrunning, das ich habe erleben dürfen. Ich habe es nicht mit dem Gedanken beschrieben, dass es im Leben darum geht, immer mehr zu erreichen und immer extremere Dinge zu leisten. Nein, ich möchte von meinen für mich erstaunlichen Learnings berichten.
Den Ultra Trail haben Lovis und ich bereits gut ein halbes Jahr vor dem Startschuss gebucht, nachdem ich eine Reportage und die landschaftlich wunderschönen Bilder Kroatiens gesehen habe. Ich habe mir ein Motivationsplakat zum Dalmacija Ultra Trail gestaltet, das seit der Buchung am Kühlschrank hing. Je näher der Event gerückt ist, je mehr Zweifel haben sich in mir geregt. Dies ist bekannt für mich und herausfordernd für Lovis. Er hat mich beruhigen müssen und unermüdlich wiederholt, dass wir aus dem Traillauf ein Abenteuer machen, bei dem es um nichts geht. Wir haben mehr oder weniger fleissig trainiert, doch die Zweifel haben sich immer wieder gezeigt. Meine Laufgruppen-Trainerin hat mir zwei Wochen vor dem Start, nachdem ich ihr meine mentale Situation geschildert habe, Übungen an die Hand gegeben. Ich habe mir mein Trailabenteuer visualisiert und viel dazu aufgeschrieben.
Die Reise nach Omis bin ich anschliessend ruhig und guten Mutes angetreten. Ich habe mich auf den Start gefreut. Die Hitze und der technische Trail haben mir dann mehr zugesetzt, als ich angenommen habe. Erschöpfung und damit einhergehend schwarze Gedanken sind in mir aufgestiegen und haben den ersten Teil meines Laufs geprägt.
Dann ist das Erstaunliche und für mich Unvergessliche geschehen: Mein Körper hat nach der ausgiebigen Pause bei Kilometer 38 umzuschalten begonnen und neue Energiereserven angezapft. Der letzte Gipfelanstieg von weiteren 500 Höhenmetern ist mir sehr leichtgefallen. Die darauffolgende anspruchsvolle Passage bis ins Ziel habe ich mit positiven Gedanken laufen und wandern können und dies nach bereits mehr als zehn Stunden Unterwegssein. Das hätte ich nie für möglich gehalten.
Genau dies nehme ich für die Zukunft, für weitere Trails und für das Leben allgemein mit. Manchmal brauchen der erschöpfte Körper und Geist eine genügend lange Pause, die man ihnen geben muss, bevor man wieder gemächlich einen Schritt vor den anderen setzt. Sie können sich erholen und ungeahnte Kräfte freisetzen. Das bedeutet, nicht sofort aufgeben, einen Schritt zurücktreten und abwarten. Körper und Geist machen lassen. Vielleicht funktioniert das nicht immer, aber ich bin sicher, in vielen Fällen gelingt es.
Bildnachweis: Dalmacija Ultra Trail®