Ist das nicht verrückt?
Mein Lebenspartner Lovis und ich planen diesen Sommer den Eiger Ultra Trail mit 101 Kilometern und 6700 Höhenmetern zu laufen. Hätte mir das jemand vor einigen Jahren gesagt, hätte ich die Person nur schräg angeschaut und leer geschluckt.
Ich litt jahrelang an Anorexie (Magersucht), weswegen ich auch sechsmal in einer Klinik war. Vor etwa neun Jahren konnte ich die Krankheit hinter mir lassen, aber ich war weit entfernt von körperlicher Kraft und Ausdauer. Spazierengehen war schon eine Herausforderung, und selbst leichte Anstiege bereiteten mir Mühe, da mir die Energie fehlte.
Lovis wusste, dass ich als Kind und Jugendliche mit grosser Freude Sport getrieben hatte. Ich fuhr Ski, machte Eiskunstlauf und war bis zu meinem 17. Lebensjahr im Leichtathletikverein.
Lovis, ein ehemaliger Profisportler, nahm sich vor, diese Bewegungsfreude in mir wieder zu erwecken. Mit unglaublichem Geschick und Feingefühl dehnte er unsere Spaziergänge aus, fügte Wanderungen hinzu und begann anschliessend, mich ins Laufen einzuführen. Wir wählten eine Strecke aus und absolvierten sie gemeinsam laufend und gehend: 200 Meter joggen, 200 Meter gehen, 200 Meter joggen, 200 Meter gehen. Da ich wieder genug ass, stieg mein Energielevel, und ich machte sichtlich Fortschritte. Die Freude über die Fortschritte trieb mich an, und schon bald konnte ich mehrere Kilometer am Stück joggen.
Im Jahr 2017 meldete ich mich für den 5 Kilometer langen Kerzerslauf an – mein erster Wettkampf seit meiner Jugendzeit. Doch es war nicht einfach. Mein Selbstvertrauen war noch nicht sehr ausgeprägt, und je näher der Wettkampf rückte, desto grösser wurde die Angst davor. Ich war nach wie vor in ambulanter psychologischer Betreuung und besprach meine Ängste vor dem Wettkampf mit meinem damaligen Psychologen.
Am Tag x stand ich dann tatsächlich an der Startlinie des Laufs. Rund um mich Laufschuhe jeglicher Marke, bunt gekleidete Teilnehmer:innen und ich nervös wie ein Kind mittendrin. Ich schaffte die abwechslungsreichen 5 Kilometer durchgehend zu laufen. Als ich an Lovis vorbeilief, gelang mir trotz Anstrengung ein Lächeln. Im Ziel nahm er mich überglücklich in die Arme und ich war stolz. Damit war meine Laufkarriere lanciert.
Schon bald waren wir Teil einer Laufgruppe und die Strecken wurden auf 10 und mehr Kilometer ausgedehnt. Ich machte gute Fortschritte, auch weil ich körperlich fitter und energiegeladener war.
Neben dem Strassenlauf lernten wir durch ein Camp das Trailrunning kennen und damit kam eine weitere Leidenschaft hinzu.
Der erste Trailwettkampf, der Schnelbelhorn-Panoramatrail, folgte im Jahr 2020 und hatte eine Streckenlänge von 21.1 km mit ca. 900 Höhenmetern.
Auch hier wurden die Strecken in der darauffolgenden Zeit länger und anspruchsvoller. Ein eigentlicher Höhepunkt fand im Jahr 2023 statt, als wir unseren ersten Ultra Trail, den Dalmacija Ultra Trail, in Kroatien absolvierten.
Er wurde mit 57 Kilometern und ca. 3000 Höhenmetern unser bisher längster und härtester Trail Run-Wettkampf. Dies war vor allem der technisch anspruchsvollen Strecke sowie der brütenden Hitze, die an diesem Tag herrschte, geschuldet. Doch auch dieses Trail-Abenteuer brachten wir ins Ziel und darüber waren wir stolz.
Warum also nun den Eiger Ultra 101 Kilometer laufen? Dafür gibt es verschiedene Gründe. Ich bin im Berner Oberland (Matten bei Interlaken) aufgewachsen und liebe die Jungfrau-Region. Die Bergkulisse ist imposant und wunderschön. Es ist demnach ein Heimrennen für mich. Zudem bedarf es keiner grossen organisatorischen Anstrengung, da wir bequem bei meinen Eltern in Matten übernachten können und Unterstützung von Freunden und Familienmitgliedern haben.
Neben diesen praktischen Faktoren reizt es mich, meine Komfortzone weiter auszudehnen. Beim Eiger Ultra Trail geht es für Lovis und mich weder um eine bestimmte Zeit noch um eine bestimmte Platzierung. Es ist ein Abenteuer mit offenem Ausgang. Natürlich wäre es schön, wenn wir den Trail erfolgreich beenden könnten, doch eine Garantie dafür gibt es nicht.
Was mich an unserem Projekt besonders interessiert, sind Antworten auf folgende Fragen zu erhalten:
- Wie entwickeln sich mein Körper und mein mentales Mindset durch die ganzheitliche Vorbereitung (Lauftraining, Krafttraining, Mentaltraining, Ernährung)?
- Was geschieht mental während des Rennens?
- Gelingt es mir, die auftretenden Krisen zu meistern?
- Schaffen wir es, die Ernährung wie geplant umzusetzen?
- Wie gehe ich mit der Müdigkeit um?
- Was wird es auslösen, wenn wir tatsächlich die Ziellinie überqueren?
Auf dieses Abenteuer möchte ich dich in diversen Blogbeiträgen mitnehmen.
Ich bin unendlich dankbar, dass für mich solche Abenteuer, da ich die Anorexie besiegen konnte, überhaupt wieder im Bereich des Möglichen liegen. Ich freue mich so sehr auf das Abenteuer Eiger Ultra Trail E101.
Bildnachweis: https://eiger.utmb.world/